Gendergerechte Sprache – ein Pro und mein korrigiertes Kontra

Update und ein Nachtrag, der mir am Herzen liegt. 19.06.2018: Ich habe meine Meinung grundlegend geändert. Ich finde es teils immer noch schräg, alle -innen Formen zu verwenden. Deshalb hab ich mich umgestellt auf abwechselnde Schreibweise und Sprechweise. Einmal sage ich Leaderin, andermal Nutzer etc. Ich versuche so, auch im Kopf einen kleinen Stopper zu kreiieren. Ich habe durch viele Kommentare und Recherchen gelernt, dass wir Menschen über Worte sensibilisieren und als Zuhörer auch Bilder erzeugen. Wenn für mich als Schreibende klar ist, dass Banker auch eine Frau sein kann, heisst das noch lange nicht, dass es auch in anderen Köpfen so ist. Es ist erwiesen. Lasst uns also den mühsamen Weg gehen und die -Innen-Form verwenden. Noch ein Beispiel, das es deutlich macht.

Im HR Today erscheint heute (3.3.17) ein Pro und mein Kontra zur gendergerechten Sprache. Mich beschäftigt die gendergerechte Formulierung in meinem Job natürlich schon länger. Deshalb habe ich die Gelegenheit genutzt, einmal „etwas. lauter“ bzw. schriftlich darüber nachzudenken.

Selbstverständlich setze ich mich (noch lauter) für Gleichberechtigung ein. Ich wünsche mir aber einen Blick auf Menschen, mit ihren unterschiedlichsten Anderssein, statt beharrlich unsere Sprache zu verbiegen.

Verbindende statt trennende Elemente

Was ist schon anders? Schnell urteilt man „die anderen tun oder denken dies und das“. Rosa und Hellblau ist hier nur eine der bekannten Schubladen, in die ich mich nicht einfinden möchte, obwohl ich weiss, dass sie teils naturgegeben sind. Gestern in einem Content Kurs behauptete ein Teilnehmer, Sarkasmus spräche nur Männer an. Mannomann. Da zieht es mir die Schuhe aus, die Motorradstiefel oder die High Heels. Such dir was aus, Mensch. Mit der gendergerechten Formulierung zielte man eigentlich auf Gleichheit ab, aber wir trennen eigentlich in meinen Augen.

Ich wünsche mir die ganze Farbpalette, die die Welt uns bietet und Selbstverständnis von Respekt in unserer Sprache statt künstliche trennende Elemente.

Pro: Prof. Christiane Hohen- stein ist Professorin für Interkulturalität und Sprachdiversität sowie Diversity- Beauftragte an der ZHAW

Was haben 25 (?) Jahre gendergerechte Sprache gebracht?

Ich möchte niemandem zu Nahe treten und respektiere die Forderung nach gendergerechten Formulierungen. Ich kenne einige Menschen, die politsch korrekt sprechen und sich dafür einsetzen.

Jedoch denke ich, dass man nicht Jahrzehnte lang etwas fordern kann und dabei ignoriert, dass das Ziel verfehlt wurde. Schlimmer noch. Wir sollten längst gleichberechtigt leben und agieren. In meiner Kindheit, in den 70er Jahren in der ehem. DDR waren Schul- und Kinderbücher mit Männern und Frauen in Bauberufen, Schweisserinnen und Panzerfahrerinnen (na lassen wir das lieber) abgebildet. Ich wurde in meiner Familie nicht limitiert sondern gefördert. Meine Mutter brachte es nicht aus der Ruhe, als ich ihr eröffnete, „Kosmonaut“ und später Maurer werden zu wollen. Wir können alles sein, wenn wir das Zeug dazu haben. Männer, Frauen, Transmenschen. Und davon bin ich noch heute überzeugt. Ich stelle den gleichen Tagessatz in Rechnung wie meine männlichen Mitbewerber. Lasst mich jetzt bitte nicht noch von Menschen aus anderen Ländern und Hautfarben sprechen. Wir sind im Jahr 2017. Auch wenn sich das in „unserem“ Land nicht in jedem Belang so anfühlt.

[Tweet „Unauffälliges Augenverdrehen beim Formulieren hilft der Gleichberechtigung nicht. Im Gegenteil.“] Es ist ein unangenehmes Hindernis entstanden. Und auch dieses beeinflusst unser Denken. Wird die (sprachliche) Gleichstellung der Frau als anstrengend oder gar lächerlich empfunden, wie sollen Menschen sich dann beim Handeln dafür einsetzen?

So, das war meine längere Einleitung als die von HR-Today. Bin gespannt, auf eure Meinungen, Erlebnisse und Überzeugungen. Bitte teilt sie mit mir.

Feuer frei (ich meine mit Buchstaben)

Offizielle Einleitung von HR Today: „Während die Online-Kommunikations-Dozentin Su Franke Schräg- und Bindestriche für einen Anachronismus hält, plädiert die ZHAW-Professorin Christiane Hohenstein für die geschlechtsspezifische Anpassung von Texten.“ (Das Wort Anachronismus hätte ich nicht benutzt, aber finde es dennoch passend)

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Und hier noch der Text aus dem Artikel. Ein bisschen in meinem Stil formatiert.

Gleichstellung von Menschen statt Sprach-Hindernis

In den 90ern hörte ich in einer Satire-Sendung „Liebe Hörerinnen und Hörer an den Radioapparatinnen.“ Danach habe ich viel über das künstliche Sprach-Hindernis der gendergerechten Formulierungen nachgedacht. Innere Einstellungen werden wir damit nicht verändern.

Gendergerechte Formulierungen stehen uns beim Sprechen und Schreiben meist im Wege. Sätze klingen aufgedunsen oder unpersönlich. Universitäten veröffentlichen Leitfäden, die helfen sollen, korrekt aber lesefreundlich zu formulieren. In Geschäftsberichten wird einführend darauf verwiesen, dass nachfolgend stets beide Geschlechter gemeint sind. Schreibende Menschen haben längst ihre Wege und Abkürzungen gefunden, die einer gleichstellenden Schreibweise gerecht werden sollen. Varianten mit Schräg- und Bindestrichen trennen was sie eigentlich vereinen sollen. Worte werden unaussprechlich, aber man würdigt zumindest die gute Absicht des Autors. Ich könnte auch schreiben ‚frau würdigt’, aber das ist orthografisch nicht korrekt.

Sagt eine Geschäftsführerin „Liebe Mitarbeiter/Innen“, fühlen sich die männlichen Kollegen nicht angesprochen. Formuliert sie „Liebe Mitarbeitende“, kommt das bei mir nicht an, weil es nicht meiner Muttersprache entspricht, ich muss es im Kopf übersetzen, was den Inhalt nicht zugänglich macht.

Bei manchen Worten ist es leichter, männliche und weibliche Formen zu nutzen. Niemand stellt eine Geschäftsführerin oder Ärztin in Frage. Oder staunen wir im Jahr 2017 noch, dass es „sogar“ eine Frau geschafft hat? Falls ja, ist für mich das Ziel weit verfehlt. Wollten wir doch gleiche Chancen über die Sprache suggerieren.

Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte, denn sie werden Taten..

Unser Denken beeinflusst, was wir sagen und schreiben und umgekehrt. Aber können wir über eine unnatürliche Formulierung tatsächlich das Denken verändern? Ich habe Leute gesehen, die daran verzweifeln, die geforderten Schreibweisen für Gleichstellung einzuhalten. Unauffälliges Augenverdrehen hilft der Sache nicht. Im Gegenteil: Es ist ein unangenehmes Hindernis entstanden. Und auch dieses beeinflusst unser Denken. Wird die (sprachliche) Gleichstellung der Frau als anstrengend oder gar lächerlich empfunden, wie sollen Menschen sich dann beim Handeln dafür einsetzen?

Gleichberechtigung sollte in einen grösseren Kontext

Wir sollten Gleichstellung in einen grösseren Kontext stellen. Männlich und weiblich sind nur zwei Aspekte in hierarchischen Strukturen. Aber gleichstellen sollten wir Menschen in ihrer Vielfalt. Transmenschen (ich habe jemanden gefragt, wie es korrekt heisst), ältere und junge Leute, Schwangere, Menschen mit körperlicher Behinderung, ungewöhnliche Lebensformen, Menschen aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen oder fremden Kulturen.

Manche Sprachen kommen sogar ohne geschlechtsspezifische Pronomen aus. Dort ist ‚der’ Mensch weder männlich noch weiblich, sondern ein Mensch. Statt Sprach-Hindernisse weiter zu verteidigen, enttarnen wir lieber Diskriminierung im alltäglichen Handeln, gegenüber Menschen, die vermeintlich anders sind, aus dem „falschen“ Land kommen, einen komischen Dialekt sprechen, Transmenschen und viele weitere diskriminierende Beurteilungen erhalten.

Ich wünsche mir, dass wir unsere Sprache in klaren, verständlichen und respektvollen Formen nutzen, um damit mehr Gleichheit zu schaffen. Mit hinderlichen Sprachregelungen haben wir es jedenfalls nicht geschafft. Für mich ist die Idee der gendergerechten Sprache überholt, weil sie in vielen Jahren versagt hat.

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Nachtrag 21.01.2019, hier wird schön deutlich, was Sprache bewirkt in unsrem Kopf. Um so erstaunlicher, weil es in englisch ist. Niemand denkt daran, dass ‚the doctor‘ eine Frau ist. 🤔

Nachtrag: 15.05.2017 Die Suche innerhalb von XING bringt bei neutraler Formulierung „Maler“ auch tatsächlich nur männliche Anbieter hervor. Danke für den Hinweis Lisa Ringen. Gleiches bei LinkedIn. Ein Tipp aus dem Kommentar-Thread: Bei der Suche „Fotogra* eingeben, ist zwar ein guter Praxis-Tipp, aber wohl nicht alltagstauglich für jedermann/frau.  Schaut euch auch mal die Reaktionen an. Grossartig von Alexander Klopman von XING reagiert. Aber es finden sich auch abwertende Kommentare gegenüber Gender-Aktivisten, die doch allerhand sind. Es tut mir leid, dass wir immer noch darüber diskutieren müssen. Ich möchte hier unterstreichen, für mich persönlich ist das Thema gendergerecht durch und veraltet, es soll gelebt werden und nicht als Streitpunkt bei Formulierungen herhalten.

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10 Kommentare zu “Gendergerechte Sprache – ein Pro und mein korrigiertes Kontra

  1. Liebe Su,

    vielen Dank für Deinen ausführlichen Beitrag. Deine Einleitung finde ich sehr aufschlussreich, denn sie zeigt, dass Du in einem Umfeld aufgewachsen bist, in welchem Du Dich ohne weiteres mit „Kosmonaut“ usw. identifiziert und wahrgenommen hast, wie Frauen z.B. in Kinderbuchillustrationen auch in Rollen, die heute nicht als gendertypisch interpretiert würden, sichtbar waren. Insofern finde ich auch Deine Meinung – selbst wenn ich sie persönlich nicht teile, aber dass mag ja an anderen Erlebnissen liegen – absolut nachvollziehbar. Wie ich Dich kenne engagierst Du Dich fortwährend für Gleichberechtigung und -behandlung, was Dich von vielen andern „Contra“-Verfechtern unterscheidet, die leider mehr Energie in die Bekämpfung geschlechtsneutraler Sprache investieren als in die Umsetzung von Gleichberechtigung.

    Wichtig in diesem Zusammenhang scheint mir die Tatsache, dass es zu diesem umstrittenen Thema nicht nur Meinungen sondern auch Forschungsergebnisse gibt. (Eine kleine Übersicht: http://www.psystudents.org/warum-gendern/ ) Ich würde es daher sehr begrüssen, wenn gerade auf organisatorischer und institutioneller Ebene der wissenschaftlich nachweisbare Wissensstand in Betracht gezogen würde, der die Vorteile des Gebrauchs geschlechtsneutraler Sprache für unsere Gesellschaft eindeutig aufzeigt.

    • Liebe Anna, ich freu mich gerade richtig sehr über deine Worte. Dankeschön. Mir war das gar nicht bewusst, dass es soviele Gegner der gendergerechten Sprache gibt. Und mit dem Umfeld das finde ich immer wieder spannend, wie sehr es uns doch prägt.

      Und die Forschungsergebnisse sehe ich sehr gerne an. Es kamen noch mehr Hinweise auf Studien bei mir an, ich hoffe, wir können sie hier ebenso zusammen tragen. Und ich lerne gerne auch weiter. Dankeschön.

  2. Michael Jörg schrieb am :

    Liebe Su

    Danke!
    Mich stört dieses Zwanghafte an der Gleichberechtigung schon lange. Ok, als Mann darf man das nicht allzu laut sagen. Doch seien wir ehrlich, es bräuchte keine Gleichberechtigung, wenn Mann gegenüber der Frau den Respekt entgegenbringen würde, den sie erwarten darf. Und umgekehrt. Das ist übrigens nicht von mir, sondern eine alte Weisheit aus dem weitverbreitetsten Buch.

    Hat eine Frau, die nach der Geburt zu Hause bleibt, dem Kind ein soziales Umfeld bietet, wäscht, kocht … plötzlich weniger Wert – oder ihre Arbeit? Klar, sie hat ja den ganzen Tag Ferien: Freundinnen, Kaffee und Kuchen, zwischendurch schoppen (Kind, Stiefel oder Pumps) und bei schönem Wetter in den Park oder auf dem Balkon an der Sonne liegen. Wertschätzung für ihre Arbeit hilft ungemein. Dann liegen die neuen Schuhe problemlos drin 🙂

    Wir sind verschieden.
    Oder muss Mann darauf bestehen, Kinder gebären zu dürfen? Der Mutter bleibt zu Hause und die Vater geht zur Arbeit. Es gibt im Sprachgebrauch nun mal diese Differenz. Sie wird unbedeutend, wenn das Umfeld der femininen Emotionalwelt stimmt. Darin ist auch Platz für eine Maurerin, Forstwartin oder Müllmännin – ja, Müllfrau ist die korrekte Bezeichnung. Frau muss sich wohl fühlen und den Aufgaben gewachsen sein. Genauso, wie es körperlich schwächere Männer gibt, die für Denkarbeit geeigneter sind. Weniger Wert?

    Mit dem anerzogenen Respekt gegenüber dem anderen Geschlecht, einer grundsätzlichen Liebe zum Mensch und etwas Toleranz wären diese exzessiven Versuche einer Neutralsprache nicht nötig. Und wir hätten viel mehr Zeit und Energie, um uns sozial wieder näher zu kommen.

    Vielen Dank, Su. Und es hat auch Spass gemacht, deinen Artikel zu lesen.

    • Wie schön. „..seien wir ehrlich, es bräuchte keine Gleichberechtigung, wenn Mann gegenüber der Frau den Respekt entgegenbringen würde, den sie erwarten darf.“ Das wünschte ich mir in beide Richtungen. Denn auch Männer verdienen Respekt. Heute hab ich in Facebook gelesen: Eine GEschäftsführerin hatte einen Steuerprüfer (oder sowas) im Haus und beim Abschied sagte er „grüssen Sie den Chef“. Sie hat das in FB erzählt und eine Frau hat geantwortet „Männer“ und in meinem Kopf wäre die Antwort gewesen „Idiot“, dieses Wort würde ich auch bei einer Frau anwenden, die sich so verhält. Wohl nicht aussprechen, aber denken. Vielleicht sollten wir genau in solchen Situationen eine Diskussion über Respekt vom Zaun brechen…