Ehrliche Digitec Plakate, authentischer geht nicht

Plakate funktionieren nicht. Entschuldigt meine vorlaute Meinung. Ich nehm sie kaum wahr, weil ich am Smartphone tippe, oder sehe ein Bild im vorbeifahren, weiss aber nicht worums geht. Sexy Bilder helfen bei mir auch nicht und Barcodes, naja. Also funktionieren sie zumindest bei mir nicht.

Aber heute war es anders und ich wurde mit meinen „eigenen Waffen“ geschlagen. Denn ich finde die online ist auch offline-Aussage überholt. Also ich meine, es spielt einfach keine Rolle mehr, was wo stattfindet. Medienbrüche sind nicht mehr so schlimm. Passiert euch das auch? Manchmal klicke ich auf Papier, wenn ich umblättern will. Menschen digitalisieren eh alles. Einfach alles. So kam bei mir das Bild der neuen Digitec Kampagne via Twitter vorbei. Ich hatte es in Real Life (was für ein verstaubter Begriff) noch nicht gesehen.

Kurz gestutzt hab ich ehrlich gesagt, wegen den Typos (Rechtschreibfehler). Und auch die Aussage lässt mich nach dem Sinn nachdenken. Hätte ich das in einem Shop gesehen, wär ich drüber hinweg gegangen. Nochmal Absender gecheckt und dann denke ich „das ist echt“.

Wie cool, authentisch. Ehrliche Plakate

Das Wort ‚authentisch‘ sagen wir zu oft in Strategien und meinen „nur das Positve“. Diese Kampagne, nein es ist nur ein Hilfsmittel, ich hoffe, es endet nicht wie eine Kampagne endet.
Die Idee dahinter vereint soviel Online Kultur auf einem Plakat. Ich kann es nicht fassen.

  • echte Nutzer Bewertungen / Empfehlungen
  • ungefiltert und wortwörtlich
  • inklusive Tippfehlern
  • mit User Namen
  • kleinteilige Inhalte, die nur in der Summe ein Ganzes geben.

Kleinteiligkeit: 1 Online Schnipsel

Plakat: echte Bewertung für Tintenstrahldrucker

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

So eine Bewertung ist ja eigentlich nur ein kleiner Online Schnipsel. Wertvoll wird er erst in der Summe mit anderen. Das halte ich in der Online Kommunikation von Firmen für eine der grössten Herausforderungen. Menschen sehen immer nur einzelne kleinteilige Inhalte, oft ohne Kontext und verstreut in verschiedenen Plattformen. Erst über die Zeit ergeben sie (im Kopf zusammengefügt) eine Story. Der rote Faden ist passé. Einzelne Inhalte müssen also möglichst unabhängig funktionieren. Diesen Mechanismus auf Print anzuwenden, halte ich für eine tolle Idee.

Tippfehler

Als ich im Jahr 2000 meinen ersten Markom Job in der Schweiz begann, weiss ich noch genau: Mein Chef hat mir damals erklärt, eine Mediamarkt Kampagne ‚ich bin doch nicht blöd‘ würde in der Schweiz nie funktionieren. Das hab ich dann irgendwie geglaubt. Hier sehen wir aber freche Bewertungen mit Tippfehlern.
Ich denke, es ist ok, weil wir heute so kommunizieren. Wir schreiben schnelle Whatsapp Nachrichten (nicht für die Nachwelt) und viele mit Tippfehlern. Ich möchte meine jedenfalls nicht als Buch herausgeben. FB-Beiträge und Kommentare können wir zum Glück inzwischen korrigieren (sobald wir an einem Gerät mit Tastatur sind). Wir sind uns bewusst, diese Texte sind Echtzeit und nicht für die Nachwelt gedacht. Also tolerieren wir die Typos. Auf dem Plakat haben sie einen anderen Effekt. Mich lassen sie „stolpern“.

Wie lange reden wir in der Kommunikationsbranche schon über Authentizität und Transparenz?

Ich denke, Mitarbeiter auf Plakate zu drucken ist schön. Aber Digitec geht hier einen Schritt weiter. Wenn ihr jetzt denkt, naja, ein guter oder schlechter Gag. Ich denke es ist mehr als das. Die Kampagne ist keine. Das, was viele Online Dozenten verteidigen „nicht in Kampagnen denken“ sondern in Kommunikation. Hier ist es. Im Blog bei digitec finde ich schnell einen selbstkritischen Post von Dominik Bärlocher aus dem Support.

Angekündigt wird er vorwitzig in Twitter. „Wouh, bitte nicht mit Vollgas gegen eine Wand fahren“ denk‘ ich und klicke genau deshalb (und weil ich Clickbaiting vermute) Doch es folgt ein ehrlicher selbstkritischer Beitrag Dominik Bärlocher aus dem Support.

Aus Marketingsicht

Ich bemühe mal ein paar Begriffe aus der Marketingsprache, die mir in vielen Workshops begegenen

  • Glaubwürdigkeit schaffen
  • der Marke ein Gesicht geben (dabei haben Firmen ja Gesichter, Mitarbeiter, Kunden …)
  • Nähe zu Kunden schaffen
  • Empfehlungen von Kunden (Word of Mouth) ermöglichen
  • ausbaubare Idee (Weiterentwicklung)

Das hat Digitec geschafft, denke ich und habe intern nachgefragt. War kurz nochmals überrascht. Die Konversation war eher konservativ. Bei so viel Mut und auch Witz sonst, dachte ich das geht in Twitter DM und Mail so weiter. Aber hey, auch das ist authentisch. Ich denke, die Zeiten von Corporate Languages laufen aus, wenn Menschen als ehrliche Botschafter oder Testimonials sichtbar werden.

 

Ein paar Fragen an Martin Walthert, Digitec CMO

Wie habt ihr die Idee entwickelt?

Kunden sollen bei digitec die für sie richtigen Produkte finden. Dabei helfen über 170’000 Bewertungen. Schlechte sind dabei genauso wertvoll wie gute. Natürlich freuen uns positive Bewertungen mehr, als wenn jemand einen Kauf bereut. Aber wir sind uns auch bewusst, dass nicht alle Produkte, die wir verkaufen, nicht für alle Kunden gleich gut oder passend sind.

Sämtliche Bewertungen auf den Plakaten und Online-Bannern sind echt und eins zu eins zitiert. Wir haben insgesamt 32 Plakat-Motive ausgesucht; 21 mit deutscher und 11 mit französischer Bewertung. 16 weitere Sujets gibt es nur online (Werbe Display Banner)

 

 

Womit habt ihr die Geschäftsleitung überzeugt?

Die Idee geisterte unserem Creative Director Flurin Spring, CIO Oliver Herren und mir schon länger im Kopf herum. Nun sahen wir den Zeitpunkt gekommen, sie zusammen zu realisieren. Zum Glück haben wir kurze Entscheidungswege, das hilft bei ungewöhnlichen und mutigen Ideen.

Das heisst, es gibt keine Agentur dahinter?

Nein, wir entwickeln praktisch alle Kampagnen mit einem internen Kreativ-Team.

Wie motiviert ihr eure Blog-Autoren, so ehrlich und autentisch zu schreiben?

Wir haben eine eigene Redaktion, die inhaltlich weitestgehend unabhängig ist. Diesen Weg des Content Marketings verfolgen wir konsequent.

Und gibt es Regeln bei den Bewertungen?

Viele unserer Kunden sind erfreulich aktiv in unserer Community und beteiligen sich an Diskussionen, Fragen und Antworten sowie Produktbewertungen. Wir pflegen eine sehr offene Kommunikationskultur und lassen alle Meinungen gelten und stehen, sofern sie den elementarsten Höflichkeitsrichtlinien entsprechen und thematisch am richtigen Ort sind. Dadurch entstehen auch viele Beiträge, die sich nicht mit unserer Ansicht decken. Die sind aber authentisch und widerspiegeln die Vielfalt unserer Kunden.

Wer betreut bei euch Social Media Plattformen?

Unser Social Media-Team unter Thierry Pool, dem Leader Digital Marketing.

Wird es nach der Kampagne weiter gehen mit der Ehrlichkeit?

(Aktuell ist es eine Kampagne, aber überträgt sich die Idee auf die gesamte Unternehmenskommunikation oder Marketing längerfristig? Oder habt ihr schon Fortsetzungsideen?)

Authentizität ist schon länger ein Thema unserer Unternehmenskommunikation, z.B. auch bei Galaxus mit der Galaxus-Live-Kampagne. Diese besteht allesamt aus Fotos und Videos, welche die Kunden produziert und eingeschickt haben. Da haben wir auch schon viele Fortsetzungsideen, ja.

Ja, natürlich. Wir erhoffen uns eine weiterhin immer lebendiger werdende Community, die sich ehrlich, konstruktiv und auch mit einer Prise Humor untereinander und mit uns austauscht.

und sonst?

Die Rückmeldungen auf unsere Kampagne waren fast ausschliesslich positiv. Vereinzelt gab es Beschwerden wegen Schreibfehlern in den Bewertungen, was uns aber zeigt, dass die Plakate viel Aufmerksamkeit bekommen. Wir haben in den Zitaten absichtlich auch allfällige Rechtschreibefehler übernommen, um komplett authentisch zu bleiben.

Sämtliche Plakate findest Du hier https://www.digitec.ch/de/Advertisement/11507
Kundenfeedback findest Du z.B. hier: https://www.digitec.ch/de/page/die-stars-der-neuen-digitec-kampagne-seid-ihr-3819#promo-detail__comments

Danke Digitec für eure Offenheit und an das SoMe Team (Twitter) und Alex Hämmerli, der mir die Antworten von CMO Martin Walthert organisiert hat.